Pressemitteilung
Hamburg, Mai 2023 – In den letzten Wochen wurde medienwirksam darüber berichtet, dass
zwei bekannte Neonazis an einem Ausstiegsprogramm teilnehmen wollen bzw. dies bereits
tun.
Marcus Senftleben, Mitarbeiter der Beratungsstelle „Kurswechsel Ausstiegsarbeit Rechts“ in
Hamburg, dazu: „Der Ausstieg aus rechten Szenen und die Distanzierung von menschenverachtenden
Einstellungen darf kein Selbstzweck sein. Vor allem im Zwangskontext Gefängnis
muss genau geschaut werden, was für Interessen hinter so einer Kontaktaufnahme
stehen. Wenn Menschen sich wirklich auf diesen Prozess einlassen, ist das selbstverständlich
sehr zu begrüßen. Es ist jedoch zu beachten, dass der Ausstieg Jahre dauern kann und
eine intensive Auseinandersetzung mit sich selbst bedeutet. Er kann auch jederzeit abgebrochen
werden.“ Wie überzeugend diese Meldungen gemeint sind, könne derzeit noch nicht
beurteilt werden: „Beide Akteur:innen teilen seit Jahrzehnten extrem rechte Ideologien und
haben die Möglichkeit verstreichen lassen, während ihrer Strafprozesse an einer Aufarbeitung
mitzuwirken oder sich glaubhaft bei den Angehörigen zu entschuldigen. Im Gegenteil.
Auch der Zeitpunkt für die Veröffentlichung wirkt nicht gerade zufällig, beides spricht also
nicht gerade für sie.“
Zusätzlich zeigt sich die Beratungsstelle, welche seit fast 10 Jahren zivilgesellschaftliche
Ausstiegs- und Distanzierungsarbeit in Hamburg leistet, von der medialen Aufmerksamkeit
überrascht: „Mit so einer Berichterstattung wird insinuiert, dass beide auf einem guten Weg
der Veränderung sind. Inwieweit dies aber der Fall ist, kann erst im Laufe des Prozesses und
über festgelegte Standards geprüft werden.“
Hierbei weist der Berater auch auf die gesellschaftspolitische Verantwortung hin, welche
Ausstiegsberatungen haben: „Für Betroffene und Angehörige extrem rechten Terrors müssen
diese Meldungen wie ein Schlag ins Gesicht wirken. Während sie bis heute um Aufklärung
kämpfen, redet die Öffentlichkeit über eine überhaupt noch nicht stattgefundene Veränderung
und Läuterung der Täter:innen. Das ist nicht unser Verständnis unserer Arbeit.“ Außerdem
macht Senftleben deutlich: „Die Ernsthaftigkeit eines Ausstiegs lässt sich nicht an
der Teilnahme an Talkshows, Zeitungsartikeln oder Dokumentationen messen.“
Der Beratungsstelle ist dabei wichtig zu betonen, dass jeder Mensch selbstverständlich die
Möglichkeit haben muss, sich verändern zu können. Das bedeutet weder eine Entlassung
aus der Verantwortung für Handlungen aus der Vergangenheit noch eine Abwendung der
entsprechenden Konsequenzen – im Gegenteil: Eine Aufarbeitung und Verantwortungsübernahme
ist immanenter Bestandteil von Distanzierungs- und Ausstiegsprozessen. Auf diese
Weise entsteht eine realistische Chance auf einen langfristigen, nachhaltigen und erfolgreichen
Ausstieg.
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